Vor nicht allzu langer Zeit habe ich mir selbst ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk gemacht und das Canon RF 85 1.2L gegönnt. Aufgrund mehrerer Nachfragen nach einem kleinen Testbericht und einem direkten Vergleich zu meinem bisherigen Sigma 85 1.4 Art, habe ich beschlossen, das wäre eine gute Gelegenheit meinen Blog mal wieder etwas Leben einzuhauchen. Mittlerweile habe ich auch drei Shootings mit dem Objektiv absolviert und traue mir zu, eine erste konkretere Beurteilung abgeben zu können. Getestet habe ich natürlich mit den mir vorhandenen Mitteln, also an einer R5. Beide Objektive sind von mir gekauft, also wurde hier auch nichts gesponsert oder ähnliches. Das nur zur Vollständigkeit. Also los geht’s.

Den Preis einmal ausgenommen, wirken die beiden bei einem ersten Blick auf die technischen Spezifikationen, gar nicht mal so verschieden.

  Canon RF 85 1,2 L USM Sigma 85 1,4 DG HSM ‚Art‘
Bildwinkel: 28,3° 28,6°
Anzahl Blendenlamellen: 9 9
Naheinstellgrenze: 0,85 m 0,85 m
Abbildungsmaßstab: 0,12 (1 : 8,5) 0,12 (1 : 8,5)
Filterdurchmesser: 82 mm 86 mm
Abmessungen: 103,2 x 117,3 mm 94,7 x 126,2 mm
Gewicht: 1195 g 1130 g
Staub-/Spritzwasserschutz: ja nein
UVP: 3199 € 1249 €
Aktueller Straßenpreis: 3199 € 1098 €

Zuerst einmal besitzt das Canon natürlich eine halbe Blende mehr Lichtstärke. Ein ähnlicher Bildwinkel, der gleiche Abbildungsmaßstab, die identische Naheinstellgrenze und sogar das Gewicht ist aber sonst recht ähnlich. Bemerkenswert finde ich hier allerdings schon die Tatsache, dass das Canon ein 82er Filtergewinde hat, während das Sigma, trotz der etwas kleineren Bauweise und der niedrigeren Lichtstärke, ein 86er Gewinde besitzt. Das spart zumindest auch ein paar Euro beim Kauf passender Schraubfilter. Der Unterschied im Gewicht von 65 Gramm ist eigentlich nicht bemerkenswert bei dem Gesamtgewicht und wird außerdem durch den am Sigma nötigen EF-RF Adapter wieder wett gemacht. Der wiegt nämlich auch 110g, also ist das Sigma im Endeffekt sogar 45g schwerer. Und nicht nur das. Es ist, wie man am nächsten Bild sieht, auch deutlich länger als das Canon und damit wird die Kombi insgesamt wesentlich kopflastiger. Allerdings bietet gerade der Adapter auch eine Chance eben nicht mit Schraubfiltern arbeiten zu müssen, sondern die hier integrierbaren Grau- oder Polfilter verwenden zu können. Das wiederum ist ein deutlicher Pluspunkt für das Sigma.

Das Sigma besitzt zwar eine Dichtlippe am hinteren Bajonett, aber das war es dann auch schon was den Witterungsschutz angeht. Das Canon Objektiv kommt dagegen laut Herstellerangaben mit einem exzellenten Schutz gegen eindringenden Staub und Feuchtigkeit daher. Ein IPx Zertifizierung sucht man aber auch hier vergebens.

Was gibt es sonst noch zur technischen Ausstattung zu sagen? Beide kommen mit einem ähnlichen Lieferumfang. Bei beiden Objektiven gibt es die Streulichtblenden und beide Deckel dazu. Das Canon kommt mit einem Lederköcher daher, während beim Sigma eine gepolsterte Kunststofftasche dabei. Hier darf jeder für sich selbst entscheiden was ihm lieber ist, bei mir liegen beide ungenutzt im Karton. Das Sigma besitzt eine Entfernungsskale, welche dem Canon fehlt. Das Canon besitzt einen Fokusbegrenzer welcher wiederum dem Sigma fehlt. Und damit komme ich auch schon zu einem der auffälligeren Punkte im Betrieb. Für schnelle Sportarten sind beide Gläser nicht prädestiniert, das ist klar. Der AF des Sigmas ist aber spürbar schneller. Man merkt bei beiden, dass hier eine Menge Glas bewegt wird. Dennoch hat das Sigma in dieser Disziplin auch ohne Begrenzer einen Geschwindigkeitsvorteil. Für ihre Paradedisziplin, die Porträtfotografie, bringen aber beide genügend Tempo mit. Hier braucht man keine Angst zu haben den perfekten Moment zu verpassen.

Bezüglich der Trefferquote des Autofokus herrscht hier Gleichstand. Beide liefern hier ordentlich ab und wenn der AF etwas erkannt hat, dann sitzt der Fokus auch da wo er hingehört, was aber wohl eher der spiegellosen Technik mit ihrem sensorbasierten Phasen AF, als den Objektiven zuzuschreiben ist. Allerdings hat die R5, in Kombination mit dem Canon Objektiv, hier eine noch höhere Erkennungsquote. Was mit dem Sigma schon richtig, richtig gut funktioniert, wird mit dem Canon nochmal spürbar getoppt. Egal ob die Augen geschlossen sind, von der Seite fotografiert wird oder Haare vor den Augen sind, solange man ein Auge sieht, wird es auch erkannt. Und das selbst bei relativ klein abgebildeten Personen. Gerade in solchen extremeren Situationen gibt es an der R5 mit dem Sigma auch schon mal kleinere Schwierigkeiten bei der Erkennung. Als kleine Randnotiz sei hier übrigens angemerkt, dass ich fast immer im Servo AF arbeite. Auch hat das Canon hier einen entscheidenden Vorteil bezüglich des AF in den Randbereichen. Wie man an dem folgenden Bild sehr schön erkennen kann, ist der AF-Bereich mit dem Sigma (oben) deutlich eingeschränkt gegenüber dem Canon (unten). Gerade bei ungewöhnlicheren Schnitten (Augen am Rand etc.) ist das ein Riesenvorteil und neben der höheren Lichtstärke und der Abdichtung auch einer der Hauptgründe warum ich es mir gekauft habe.

Am Ende zählt aber wie immer nur das Ergebnis. Und hier sind beide Objektive über jeglichen Zweifel erhaben. Beide sind extrem scharf und zwar auch schon bei Offenblende und bis in den Randbereich hinein. Beide besitzen ein angenehm weiches Bokeh, wobei das Canon für meinen Geschmack hier wiederum die Nase leicht vorne hat. Das könnte an den abgerundeten Lamellen liegen. Was chromatische Aberrationen angeht, sind übrigens beide Objektive nicht besonders auffällig. Übrigens – wer jetzt erwartet hat, in diesem kleinen Erfahrungsbericht technische Charts von Auflösungsdiagrammen etc. zu finden, den muss ich leider enttäuschen. Was für den einen oder anderen eine Rolle spielen mag, ist mir ehrlich gesagt völlig Banane. Ich verlasse mich beim Fotografieren lieber auf meine Sinne und meinen Bauch als auf irgendwelche Testcharts.

Was bleibt, ist die Frage ob man bereit ist, den doch nicht unerheblichen Mehraufwand für das Canon auf sich zu nehmen, um die letzten paar Prozent an Qualität herauszuquetschen oder ob man lieber die auch sehr gute Alternative in Betracht zieht und das gesparte Geld nicht anderweitig investiert. Meine Entscheidung jedenfalls steht fest und das Canon ist ab sofort ein fester Bestandteil in meinem Rucksack. Was ist eure Meinung? Wie und warum habt ihr euch entschieden? Oder habt ihr noch Fragen dazu? Dann hinterlasst mir gerne einen Kommentar.

PS: Ein paar Bilder aus den Testshootings könnt ihr dann übrigens in der kommenden Ausgabe #9 des exxposed Magazins betrachten.